Was macht ein Chor, der nicht gemeinsam singen darf. Ein Werkstattbericht von MissHarmony – Barbershop-Chor aus Erkrath
Das Corona-Virus hat Stück für Stück unseren Alltag durchseucht und so kam der Brief vom Vermieter unseres Probenraums am 12. März nicht ganz überraschend. Proben bis zum 19. April ausgesetzt - wir hatten schon etwas in der Art befürchtet, ein Ausweichquartier war schon angedacht. Aber drei Tage später sah die Welt schlagartig ganz anders aus, es wurde geraten, generell soziale Kontakte zu vermeiden und noch vor dem Lockdown war uns klar, Chorproben im Angesicht eines hochansteckenden Virus sind keine gute Idee mehr.
Wir nahmen es sportlich und dachten, naja, bis Ostern mal auf die Chorproben zu verzichten, das schaffen wir schon. Es folgten allerdings Schlag auf Schlag weitere Hiobsbotschaften, zum Beispiel die Absage des BinG!-Barbershopfestivals im April und später die Absage des BinG! Harmony-Colleges im September. ABER: Der Barbershopvirus ist mindestens so hartnäckig wie Corona und unsere Schockstarre währte nur kurz. Die meisten von uns fanden sich bereits am nächsten Probentag vor dem heimischen Rechner wieder, weil eine Woche ohne Chorprobe einfach keine komplette Woche ist.
Chorprobe per Zoomchat war Ende März 2020 so exotisch, dass sich sogar die Lokalpresse zwecks Berichterstattung bei einer unserer Sängerinnen eingefunden hat, natürlich mit Sicherheitsabstand. Wir hatten viel Spass beim Ausprobieren und beim Austesten dessen, was virtuell überhaupt möglich ist, und die Wiedersehensfreude überwog den Frust bei der Feststellung, dass online zwar Manches geht, aber nicht synchron zu singen. Die Lokalpresse hat dann auch gnädigerweise auf den Bericht von der ersten Probe verzichtet, das hätte unser Image wohl ruiniert, aber bereits am folgenden Donnerstag sassen 15 Sängerinnen wieder vor ihren Rechnern und hatten konkrete Ideen, wie dieser virtuelle Probenraum genutzt werden könnte. Es war ein voller Erfolg und diesmal hat die Zeitung berichtet.
Am Tag nach der Veröffentlichung stand das Telefon nicht mehr still. Chöre aus dem gesamten lokalen Einzugsgebiet der Zeitung (Düsseldorf und Wuppertal) riefen an und wollten wissen, wie wir „das“ machen mit den virtuellen Proben. Unseren kurzzeitigen Ruhm als „Technik-Expertinnen“ (den Medien sei Dank) haben wir sehr genossen. Schön war vor allem die Beratung der Männerchöre. Wenn Co-Chorleiterin Petra ihnen das Problem der Latenz bei den virtuellen Proben erklären wollte, haben sie nur abgewunken und meinten, „ihre Spezialisten im Chor würden das schon in den Griff bekommen“. Sich von einem Frauenchor beraten zu lassen passt offensichtlich nicht in jedes Weltbild.
Demnächst findet schon die 9. Chorprobe per Zoom statt und es ist Routine eingekehrt. Wir nutzen nicht mehr den kostenlosen Zoom-Zugang (der hat Zeitbeschränkungen), sondern einen Profizugang. Zusätzlich zur gemeinsamen Donnerstagsprobe gesellen sich an anderen Tagen Zoom-Einzelstimmproben und die Kanäle werden von mehr als 2/3 der Sängerinnen gut genutzt.
Auch die Probeninhalte sind auf die Möglichkeiten abgestimmt. Statt am Zusammenklang zu feilen lernen wir z.B. neue Stücke oder holen alte Repertoirestücke hervor und lesen sie neu. Als Barbershopsängerinnen haben wir ohnehin den Luxus, meist mit Teachtapes lernen zu können und in den virtuellen Proben werden immerhin die kleinen Schludrigkeiten und Hörfehler in den einzelnen Stimmlagen ganz gut aufgedeckt. Ein bisschen Mut braucht es schon, bei den virtuellen Proben vorzusingen, während die anderen bei ausgeschaltetem Mikro in ihrer Stimmlage mitsingen.
Aber dann ist ja da auch noch das Soziale… es ist schon sehr belastend, sich die ganze Zeit nicht persönlich treffen können. Eine Ausnahme gab es Ende April, da hat sich ein Quartett zu einem Geburtstagständchen im Garten einer Sängerin eingefunden, mit riesigem Abstand. Die MissHarmony-Whatsapp-Gruppe glüht vor Kreativität, nach dem Motto: wenn zusammen Singen nicht geht, dann machen wir halt was anderes zusammen.
Unsere Bilanz: die flexible Struktur unseres Chores kommt uns zugute. Wir kommen gerne vorwärts, aber wir sind kein Leistungschor und mussten deshalb auch keine Fallhöhe verkraften wie andere Chöre. Wir sind ausserdem „Selbstversorger“ und gewohnt, auch unabhängig von Chorleiterweisungen zu proben. An die Onlineproben konnten wir deshalb unvoreingenommen und optimistisch herangehen.
Hier kommen unsere (subjektiven) Tipps für Chöre:
- Freiwilligkeit: Corona verändert die gesamte Arbeitswelt. Sängerinnen, die ihren Berufsalltag in Online-Konferenzen verbringen müssen oder durch „systemrelevante“ Tätigkeiten vollkommen überlastet sind, müssen nicht bei Chor-Zooms mitmachen. Und auch Technikmuffel lassen wir in Ruhe (die Zahl reduziert sich allerdings von selbst).
- Hilfsbereitschaft: Jede bekommt die Unterstützung, die sie braucht, um mitmachen zu können. Vom Technik-Know-how bis zum PC wird alles weitergegeben, was die Sängerin in Corona-Zeiten braucht.
- Abschied vom Leistungsgedanken: Für uns steht der Zusammenhalt im Vordergrund und der Wunsch, das Zusammengehörigkeitsgefühl in der Krise aufrecht zu erhalten. Eine Zoom-Probe wie ein Business-Meeting aufzubauen, würde bei uns nicht funktionieren. Natürlich haben wir Lernziele. Aber im Vordergrund steht der Spass und die Motivation, den Kontakt zu halten, damit unsere Chorgemeinschaft auch nach der Krise noch stabil ist. Für uns Ergebnis genug.
- Neuen Fokus setzen: Statt sich darüber zu ärgern, dass man online keinen Chorklang erzeugen kann, fördern wir gezielt Kompetenzen. Sängerinnen, die sich im Chor nicht getraut haben, im Quartett zu singen, singen nun ganz selbstverständlich im Online-Meeting alleine den anderen vor. Wir verzichten auf den Einsatz von Teachtapes während der Zoom-Meetings, sondern korrigieren uns gegenseitig. Mit teilweise verblüffenden Ergebnissen: es fallen Fehler auf, die bisher keine Chorprobe aufdecken konnte.
- Bescheidenheit: es ist keine Zeit, um große Brötchen zu backen. Unser Tipp: sich nicht zu sehr unter Druck setzen und brachliegende Energien in andere Aktivitäten investieren. Bei MissHarmony hat Corona folgendes hervorgebracht: Wir haben nun auch einen Instagram-Account, es gibt neue Flyer und wir arbeiten an einer Foto-Challenge. Ausserdem tüfteln wir an einer synchronen Aufnahme des Chors, die wir veröffentlichen möchten (da sind uns zur Zeit diverse Männerchöre voraus) und hecken Pläne für ein neues Konzert aus. Damit verkürzen wir uns die Wartezeit, bis wir uns wiedersehen.
Warum wir das alles aufschreiben? Weil wir (hoffentlich) in 12 Monaten nicht mehr glauben, dass das alles wirklich stattgefunden hat. Wir möchten das im nächsten Jahr lesen und wir wünschen uns, dass es uns dann vorkommt wie ein böser Spuk aus der Vergangenheit. So wie es zur Zeit aussieht, werden allerdings wir ChorsängerInnen mit zu den letzten gehören, die zur Normalität zurückkehren dürfen, weil die Ansteckungsgefahr unter uns besonders groß ist. Und deshalb: Wir würden uns freuen, wenn viele andere Chöre es uns nachmachen und das Beste aus der Situation machen.
Christel Juchniewicz 12.Mai 2020